Nähe des Todes

 

2. Fassung

 

O der Abend, der in die finsteren Dörfer der Kindheit geht.

Der Weiher unter den Weiden

Füllt sich mit den verpesteten Seufzern der Schwermut.

 

O der Wald, der leise die braunen Augen senkt,

Da aus des Einsamen knöchernen Händen

Der Purpur seiner verzückten Tage hinsinkt.

 

O die Nähe des Todes. Laß uns beten.

In dieser Nacht lösen auf lauen Kissen

Vergilbt von Weihrauch sich der Liebenden schmächtige Glieder.

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amen_2014

Nähe des Todes - Amen, 2014

plastic, wood, concrete, twine, strap w / hook, 210 x 40 x 40 cm

 

 

Amen

 

Verwestes gleitend durch die morsche Stube;

Schatten an gelben Tapeten; in dunklen Spiegeln wölbt

Sich unserer Hände elfenbeinerne Traurigkeit.

 

Braune Perlen rinnen durch die erstorbenen Finger.

In der Stille

Tun sich eines Engels blaue Mohnaugen auf.

 

Blau ist auch der Abend;

Die Stunde unseres Absterbens, Azraels Schatten,

Der ein braunes Gärtchen verdunkelt.

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Nähe des Todes - Unterwegs, 2014

EPS, tarp, rope, carabiner, stone, 180 x 180 x 120 cm

 

 

Unterwegs

 

Am Abend trugen sie den Fremden in die Totenkammer;

Ein Duft von Teer; das leise Rauschen roter Platanen;

Der dunkle Flug der Dohlen; am Platz zog eine Wache auf.

Die Sonne ist in schwarze Linnen gesunken; immer wieder kehrt dieser vergangene Abend.

Im Nebenzimmer spielt die Schwester eine Sonate von Schubert.

Sehr leise sinkt ihr Lächeln in den verfallenen Brunnen,

Der bläulich in der Dämmerung rauscht. O, wie alt ist unser Geschlecht.

Jemand flüstert drunten im Garten; jemand hat diesen schwarzen Himmel verlassen.

Auf der Kommode duften Äpfel. Großmutter zündet goldene Kerzen an.

 

 O, wie mild ist der Herbst. Leise klingen unsere Schritte im alten Park

Unter hohen Bäumen. O, wie ernst ist das hyazinthene Antlitz der Dämmerung.

Der blaue Quell zu deinen Füßen, geheimnisvoll die rote Stille deines Munds,

Umdüstert vom Schlummer des Laubs, dem dunklen Gold verfallener Sonnenblumen.

Deine Lider sind schwer von Mohn und träumen leise auf meiner Stirne.

Sanfte Glocken durchzittern die Brust. Eine blaue Wolke

Ist dein Antlitz auf mich gesunken in der Dämmerung.

 

Ein Lied zur Guitarre, das in einer fremden Schenke erklingt,

Die wilden Hollunderbüsche dort, ein lang vergangener Novembertag,

Vertraute Schritte auf der dämmernden Stiege, der Anblick gebräunter Balken,

Ein offenes Fenster, an dem ein süßes Hoffen zurückblieb -

Unsäglich ist das alles, o Gott, daß man erschüttert ins Knie bricht.

 

O, wie dunkel ist diese Nacht. Eine purpurne Flamme

Erlosch an meinem Mund. In der Stille

Erstirbt der bangen Seele einsames Saitenspiel.

Laß, wenn trunken von Wein das Haupt in die Gosse sinkt.

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nattsang_2014

Nähe des Todes - Nachtlied, 2014

EPS, plastic, tape, copper, light bulb w / wire, 180 x 200 x 50 cm

 

 

Nachtlied

 

Des Unbewegten Odem. Ein Tiergesicht

Erstarrt vor Bläue, ihrer Heiligkeit.

Gewaltig ist das Schweigen im Stein;

 

Die Maske eines nächtlichen Vogels. Sanfter Dreiklang

Verklingt in einem. Elai! dein Antlitz

Beugt sich sprachlos über bläuliche Wasser.

 

O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit.

An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe

Erscheint der Abglanz gefallener Engel.

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All poems: Georg Trakl

 

 

 

 

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